Kommunikation ist ansteckend? Klingt erstmal komisch, ist aber so. Sie kann uns beruhigen, zum Lachen bringen, zum Nachdenken anregen oder uns in Panik versetzen.
Das, was wir hören und lesen, löst in uns eine emotionale Reaktion aus. Werden angstbesetzte Worte benutzt oder kommuniziert jemand ungeschickt, schürt das in uns mulmige Gefühle.
Wir können das in der aktuellen medialen Kommuni-kation zum Coronavirus täglich beobachten. Fakten werden manchmal absichtlich so formuliert, dass die Headlines möglichst viele Leser „einfangen“. Inhalte werden hergenommen und so umformuliert, dass sie spannender, reißerischer und interessanter klingen. Die Jagd auf Klicks hat begonnen!
Ein (noch relativ harmloses) Beispiel: „Frankreich bestätigt ersten Coronavirus-Toten in Europa“ – oh mein Gott, denken wir. Jetzt ist die tödliche Seuche mitten in Europa angekommen. Jetzt sterben schon hier die Menschen daran. Ein Franzose. Wir wittern Gefahr, wollen uns informieren, was da gerade passiert. Fakt ist, es war ein betagter chinesischer Tourist, der das Virus aus der schwer betroffenen Provinz Hubei in China mit nach Frankreich gebracht hatte. Aber das ist natürlich nur halb so „interessant“.
Ein anderes Beispiel: „Das unheimliche Rätsel um das Coronavirus“ – was soll so was? Was soll dieses „unheimlich“? Was soll das Wort „Rätsel“? Es soll das Interesse der Leser wecken, soll …. Ich finde das in der aktuellen Situation mehr als unpassend. Es ist nicht förderlich, dieses neue Virus zu mystifizieren und als Schreckens-Keim der tausend ungelösten Rätsel darzustellen. Ja, wir wissen sehr wenig darüber – aber das kann man sachlich formulieren, kann zeigen, dass es „normal“ ist, nach so kurzer Zeit erst eine begrenzte Anzahl an Informationen zu haben. Es muss nicht reißerisch klingen. Das ist kontraproduktiv. Ebenso wie die Sublines „Virologen wissen viel zu wenig über den Erreger. Nun breitet er sich in Europa aus – auch in Deutschland werden neue Fälle gemeldet. Lässt sich eine Pandemie noch abwenden?“ Klingt das in ihren Ohren nach etwas rein Informativem, das die Situation nicht unnötig auflädt? In meinen nicht. Auch Lines wie "Virusangst in Deutschland – Kinderarzt mit Corona infiziert" oder "Coronavirus kann tagelang in Leichen überleben" helfen nicht unbedingt weiter.
Jeden Tag lese ich Formulierungen, die ich schlichtweg unverantwortlich finde. Als Schreibende/r habe ich eine gewisse Verantwortung für das, was ich schreibe. Ich muss mir überlegen, was mein Ziel ist und wie ich das erreiche. Manchmal liegt das Problem allerdings gar nicht in der bewussten sprachlichen Manipulation, sondern in der mangelnden Reflexionsfähigkeit. „Wie klingt das, was ich da schreibe? Worauf lege ich den Fokus? Gibt es andere Aspekte? Kann man das auch anders sehen? Wie kann mein Artikel einen positiven Beitrag zur aktuellen Debatte leisten? Wie kann ich dem Thema angemessen gegenübertreten? Was erreiche ich damit beim Leser? Will ich das?“.
Für die deutschen Medien sollte das oberste Ziel in einer angespannten Lage die Information der Bevölkerung sein – nicht die Maximierung der Klickraten und Abverkäufe. Informieren kann man besser ohne populistische Lines, ohne Tamtam. Besonnen, reflektiert und bedacht. Mit dem Wissen um die Verantwortung, die man in einer solchen Situation hat. Einige Medien können das. Ihre Journalisten sind wirklich gut und informieren intelligent und nachhaltig.
Nicht immer wird absichtlich schlecht kommuniziert, häufig passiert das auch „einfach“ – Betriebsblindheit ist weit verbreitet und gerade in der Krisenkommunikation fatal. Manchmal "vergessen" Experten, das Ziel ihrer umfassenden Maßnahmen zu kommunizieren, es klar und deutlich auszusprechen – weil es für sie so offensichtlich und selbstverständlich erscheint. Ein einziger Satz kann einen riesigen Unterschied machen. Ein „Wir betreiben den ganzen Aufwand in erster Linie, um Risikogruppen zu schützen.“ Und ein „Zudem wollen wir die Infektionsrate verlangsamen, um die Kapazitäten in den Krankenhäusern...", usw. Steht so etwas am Anfang der Kommunikation, ändert das alles.
Natürlich gibt es Redakteure, Wissenschaftler, Politiker, Lehrer und Journalisten, die sich wirklich um Sachlichkeit und Aufklärung bemühen. Denen es ein Anliegen ist, in dieser Situation „das Richtige“ zu tun und denen ihre Aufgabe auch wirklich am Herzen liegt. Sie machen einen tollen Job und wir brauchen sie. Sie bewahren die Nerven und kommunizieren reflektiert. Und manche, von denen man es gar nicht erwartet hat, wachsen in dieser Situation über sich hinaus und beeindrucken uns mit Ihrer Ruhe und .....
Abgesehen von der Art der Kommunikation ist auch die Häufigkeit und Intensität ein "Problem": Denn jeder spricht darüber. Die einen genervt, die anderen ängstlich – aber alle reden darüber. Darum ist es gerade in einer solchen Situation wichtig, sich selbst zu beobachten und sich zu überlegen, wieviel und mit welchen Worten man darüber spricht. Denn je mehr über eine Sache gesprochen wird, desto größer wird sie auch in der Wahrnehmung. Wenn ich in Zeitung, Radio, Newsticker und den Nachrichten immer und immer wieder Neuigkeiten zum Corona-Virus sehe, dann ist er sehr präsent und scheint nahezu das einzige Thema zu sein. Rutscht es hingegen an die Stellen 3, 4, 5, impliziere ich eine Abnahme der Dringlichkeit und Gefährlichkeit. Ebenso ist das im Privaten – tausche ich mich ein Mal am Tag mit meinen Familienmitgliedern aus, geht das. Spreche ich über nichts anderes mehr, ganz gleich, wem ich gegenüberstehe, dann ist das einfach zu viel – für einen selbst und für die anderen.
Corona ist jetzt Bestandteil unseres Lebens. Das ist Fakt. Aber in welchem Maß er unsere Gedanken bestimmt, welchen Stellenwert wir ihm kommunikativ einräumen, bei welchen Quellen wir uns darüber informieren und wie wir darüber sprechen, das haben wir selbst in der Hand.
Zur Entspannung der kommunikativen Lage können wir alle etwas beitragen. Jeden Tag. Mit jedem Wort.
Schlussbemerkung: Dieses Thema ist so vielschichtig und dynamisch, dass man darüber ganze Abhandlungen schreiben könnte. Aber für hier und heute belasse ich es bei diesem
Ausflug in die Krisen-Kommunikation.
Nachtrag Mitte März: In zwei Wochen kann sich vieles ändern – auch die Art der Kommunikation. Ich lese und höre zunehmend sachliche und sinnvolle Begründungen für staatliche Maßnahmen, lese fundierte Artikel und stelle fest, dass sich die Art der Kommunikation – sowohl politisch als auch medial – ein wenig gewandelt hat. Hin zu einer konstruktiven, explikativen und sinnvollen Sprache.