Die Frage allein klingt schon so banal, dass man sich fragt, ob man sie überhaupt stellen muss. Die Antwort hingegen ist nicht ganz so trivial.
Eine direkte Frage endet stets mit einem Fragezeichen. Das Fragezeichen ist irgendwie so etwas wie eine Gesprächs-öffnung. Im Gegensatz zum Punkt, der einen Satz beendet und meist auch nicht auf irgendeine Äußerung des Gegenübers aus ist.
Die Betonung liegt hier auf "meist". Denn manch einer stellt gerne indirekte Fragen, die er in Form von Aussagen darbietet: "Mich würde interessieren, was Sie dazu denken." Früher galt eine solche Art der Fragestellung als höflich, weil sie den Menschen gegenüber nicht direkt zu einer Antwort zwingt.
Je offener man es aber gewohnt ist zu kommunizieren, desto schlechter kommt eine solche Sprachwahl an. Der natürliche innere Impuls auf eine solche vermeintlich subtile, aber höchst offensichtliche Art der Fragestellung ist "Dann fragen Sie mich doch danach!". Die indirekte Frage endet also mit einem Punkt – ich möchte sie hier nicht als echte Frage gelten lassen.
Aber auch nicht jeder Satz, der mit einem Fragezeichen endet, ist ein echte Frage. Es gibt auch Wortungetüme, die sich einfach als Fragen verkleiden. Sie zieren sich mit einem Fragezeichen, obwohl sie es gar nicht verdienen und eigentlich einen Punkt oder ein Ausrufezeichen tragen müssten. Hier gibt es viele Spielarten.
Zum Beispiel die verkleidete Aussage – der Sprecher macht keine direkte Aussage (obwohl er innerlich einer bestimmten festen Überzeugung ist), sondern formuliert seine Aussage als Frage. Um seinen Standpunkt deutlich zu machen, unter Umständen auch Macht oder Wissen zu demonstrieren, sich dabei aber immer die „Das hab ich doch gar nicht gesagt!“- Tür offen zu halten. Klingt unangenehm. Ist es auch.
Ein guter Freund der verkleideten Aussage ist die rhetorische Frage. Sie kommt als Frage daher, nimmt die Antwort des Gesprächs-partners aber schon vorweg. Sie ist irgendwie übergriffig. Und manipulativ. Mal mehr, mal weniger. Eine echte Frage ist sie auch nicht. Eher so etwas wie die voreingenommene schnippische Tante der Semantik.
Dann haben wir da noch die „…, oder (nicht)?“- Fragen. Sie sind ein bisschen wie rhetorische Fragen. Sie unterstellen, dass wir der gleichen Meinung wie unser Gesprächspartner sind und lassen je nach Persönlichkeit des Gegenüber nur wenig Platz für eine gegenteilige Antwort. Sie meinen zu wissen, was wir über eine Sache denken und sind deshalb voreingenommen.
Natürlich geht es hier nicht um faktische Fragen bzw. Vergewisserungsfragen wie „Es ist jetzt 12 Uhr, oder?“ oder um zu verifizierende wissenschaftliche Fragestellungen. Sondern um scheinheilige Fragen, die nur gestellt werden, um das eigene Meinungskonstrukt zu bestätigen. Um solche also, die nicht dazu formuliert werden, um etwas zu erfahren, sondern um etwas auszusagen, klarzustellen, zu manifestieren.
Wen beim Lesen der letzten Absätze ein gewisses Unwohlsein beschlichen hat, der hat ein gutes Gefühl für Kommunikation und ist vermutlich auf dem richtigen Weg, was echte Fragen angeht.
Aber was ist denn nun eine echte Frage? Meiner Meinung nach zeichnet sich eine echte Frage insbesondere durch die oben genannte „Gesprächsöffnung“ aus. Eine echte Frage ist aufrichtig, sie verurteilt nicht, sie ist neugierig im besten Sinne des Wortes und sie lässt jede Antwort zu. Sie ist einfach offen. Eine echte Frage ermöglicht gute Gespräche, die zu jeder Zeit flexibel sind, sich hierhin und dorthin entwickeln können. Es sind solche, die uns und unser Gegenüber bereichern, die eine Verbindung schaffen und etwas in Bewegung bringen. In uns, im anderen, in Gedanken, in Worten, in Taten.
Fragen, die frei von vorgefassten Meinungen und Urteilen sind, die nichts demonstrieren wollen, die einfach dazu da sind, um etwas zu erfahren – das sind die Fragen, die ihren Namen verdient haben. Wenn Fragen beladen sind mit unnötigem (oft negativem) Ballast, dann erschweren sie das Gespräch, belasten das Verhältnis der Gesprächspartner und verschieben den Schwerpunkt auf etwas, das gar nicht ausgesprochener, sondern impliziter Gesprächsbestandteil ist. Das macht alles kompliziert und unaufrichtig. Echte Fragen sind (im Idealfall) rein und klar wie ein Bergsee, sehr natürlich und friedlich. In ihrer Gegenwart ist es leichter, authentisch zu bleiben und sich dem anderen zu öffnen.
Wie vorurteilsfrei und unvoreingenommen Fragen sind, das hängt natürlich von den einzelnen Personen, der Situation, dem Gesprächs-thema und der momentanten individuellen Verfassung ab. Aufmerksam dafür zu sein, welche Art von Frage uns gestellt wird und uns selbst bei der Formulierung einer Frage zu beobachten ist daher auf jeden Fall eine gute Idee.
Wer mag, nehme diese Gedanken zu echten Fragen mit in die Weihnachtstage – denn wenn wir einen Schritt zurück treten vom tannenduftenden Weihnachtsessensgesprächsdurcheinander, ganz bei uns bleiben und dann mit frischem Geist und ehrlichen und offenen Fragen wieder ins Gespräch einsteigen, kann auch eine nicht ganz harmonische Gesprächsathmosphäre manchmal doch noch die Kurve kriegen.
Aber erwarten Sie keine Wunder – oder vielleicht doch?
Wer weiß... es ist ja Weihnachten.